Sonntag, 22. November 2015

Die Zeit verfliegt...

... und es ist jetzt schon eine Weile her, seit ich das letzte Mal etwas von mir hören lassen habe. Das lag aber nicht daran, dass es nichts zu erzählen gegeben hätte, ganz im Gegenteil: zwei Hindu-Festivals, ein Ausflug nach Courtallam, das Erkunden von Madurai (also der nächsten größeren Stadt), ein Sporttag, Hochzeiten, ein Erntedankfest, ein Geburtstag und natürlich nicht zuletzt der ganz normale Alltag hier haben mich einfach viel zu sehr beschäftigt, um in Ruhe aufzuschreiben, was mir hier so passiert. Und jetzt weiß ich gar nicht, wo ich denn anfangen soll!


Am besten wohl der Reihe nach: das erste Hindu-Festival, Dassara, besuchten wir 8 Freiwilligen gemeinsam in Mysore, denn dort wird das immer besonders groß gefeiert. Eine Mitarbeiterin der Church of South India (CSI, die Partnerkirche der EMS), die Mini, die wir bei unseren Einführungstagen kennen gelernt haben, hatte uns eingeladen, uns dort sowohl die Stadt als auch das Festival zu zeigen. So stiegen Anna und ich am 20. Oktober abends um 6 Uhr in den Zug und am nächsten Morgen, nach ca. 15 Stunden sehr angenehmer Fahrt und auch etwas Schlaf, in Mysore wieder aus. 
Die erste Herausforderung war es dann, unser Quartier zu finden, da uns keine Adresse davon gesagt werden konnte; es hieß nur das „Wesleys Girls Boarding Home“ und wir sollen eine Rikscha nehmen. An diesen mangelte es  nicht, sobald man aus dem Bahnhof herauskommt umkreisen einen die Fahrer – besonders uns als weiße Touristen. Das Heim, zu dem wir wollten, kannten sie aber natürlich nicht, so ließen wir sie mit Mini telefonieren. Nach einer gefühlten Ewigkeit winkten sie uns dann zu einer Rikscha, wir versuchten unser Gepäck und uns selbst (inzwischen hatten wir uns mit einer weiteren Freiwilligen getroffen) zu verstauen, handelten den Preis aus und waren gespannt, ob wir auch dort ankommen würden, wo wir hin wollten. Auf den zweiten Anlauf dann taten wir das auch und wurden dort herzlich empfangen. Es handelt sich dabei um ein Heim der CSI für Mädchen, denen die Schule und die Verpflegung finanziert wird. Da die Mädchen fast alle über das Festival zu Hause waren, durften wir ihre Betten so lange benutzen und bekamen jeden Morgen Snacks und Tee von der Hausmutter, die ihre Ferien für uns opferte! Und das äußerst spontan, drei Tage davor wussten wir noch nicht, wo wir denn untergebracht sein würden.  

Nach und nach kamen auch die anderen Freiwilligen und wir hatten uns natürlich die ganzen vier Tage lang sehr viel zu erzählen. Währenddessen gingen wir in einen Park mit einer berühmten Licht und Wasser Show, standen über eine Stunde für einen Tempel auf dem Tempelberg an (wobei die Zeit hier sowieso anders vergeht als bei uns), bekamen im Tempel unseren ersten „indischen Punkt“ auf die Stirn und freuten uns darüber mächtig, durchstöberten einen Markt, ruhten uns in einem Vogelpark aus und bestaunten das prunkvolle Schloss, besonders als es abends komplett mit Lichterketten beleuchtet wurde. Das hatte etwas von einem Weihnachtsmarkt. 

Einer der Schuhstapel vor dem Tempel

Die Schlange vor dem Tempel

Im Innern des Tempels
Ich vor dem Tempel
                                               
Mittagessen im Vogelpark

Mini und ich im Vogelpark

Ein Pfau im Vogelpark   
Das beleuchtete Schloss


Der Höhepunkt war selbstverständlich das Festival selbst, das für uns aus zwei Programmpunkten bestand: Zum einen einem Umzug, bei dem die Götterstatue von Lord Rama auf über und über geschmückten und bemalten Elefanten durch die Stadt getragen wird, begleitet von vielen anderen Umzugswägen und Tänzern. Bis auf die Elefanten erinnert das Ganze an einen Karnevalsumzug bei uns. So gab es Wägen, auf denen Politiker zu sehen waren, ein anderer wies auf erneuerbare Energien hin und einer zeigte, was für Tiere der örtliche Zoo beheimatete.

Die ersten Elefanten

Marschkapelle

Dieser Wagen weist auf erneuerbare Energien hin

Der Wagen des Zoos
 Die Götterstatue auf einem der Elefanten bildete den Abschluss des Umzugs. Als diese in Sicht kam fingen Gruppen von Männern an ausgelassen zu tanzen und Menschenmassen stürmten hinter den Zug her. 

Die Götterstatue von Lord Rama
Auch wir machten uns, nach einer Stärkung im Haus von einem Freund von Minis Onkel, auf den Weg weiter in die Stadt rein, zum nächsten Programmpunkt: der Torchlight Parade. Wir wussten nicht, was uns da erwarten würde und so war ich erst einmal etwas enttäuscht, als verschiedene Militär- und Polizeieinheiten aufliefen, Kanonenschüsse abgefeuert wurden und Pferde, begleitet von Schüssen der Soldaten, ihre Runden drehten. (Dass ich kein besonders großer Fan von so etwas bin, dürfte bekannt sein. Besonders nicht, weil ein Pferd auf Grund einer Herzattacke, ausgelöst von den Schüssen, während der Veranstaltung starb…).


 Doch anschließend wurde es interessanter, das Spektakel glich nun einem Zirkus bei uns: Stunts auf Motorrädern, Tänze (die sicher eine religiöse Bedeutung hatten, die wir aber nicht verstanden), Kunststücke mit Pferden,… gekrönt von dem, auf das wir wegen des namens der Veranstaltung die ganze Zeit gewartet hatten: den Fackeln. Es war inzwischen dunkel geworden, so dass es unglaublich toll aussah, als mindestens 100 Personen mit jeweils zwei Fackeln in der Hand in das Stadion kamen, mit dem Feuer spielten und verschiedene Schriftstücke mit ihnen darstellten, was gleichzeitig das Ende des Festivals bedeutete.




Für das zweite Festival, Divali (Lichterfest), musste ich nicht so lange reisen, ich durfte in eine Hindu-Familie in Sivakasi, um das Festival auch so richtig mitzubekommen. Schon mindestens drei Wochen davor erzählten mir die Kinder täglich von Divali und so war ich mächtig gespannt, was es denn damit auf sich hatte. Dass die Lichter des Lichterfests nicht mehr aus Kerzen und Öllampen bestehen, sondern durch Feuerwerk ersetzt wurden, (wohl besonders hier in Sivakasi, wo Feuerwerkskörper für ganz Indien und darüber hinaus hergestellt werden) wurde mir schon im Voraus mehrfach gesagt und auch deutlich, als wir hier im Elwin Centre am Abend vor den Ferien ein (für meine Verhältnisse) riesiges Feuerwerk veranstalteten. Die Kinder jubelten bei jedem neuen Knall und waren mächtig euphorisch. Emotional kann man Divali wohl mit Weihnachten bei uns vergleichen.

So war auch das erste, was wir am Montagabend machten, nachdem mich Mr Barnabas und seine Frau in die Hindu-Familie gebracht hatten, Unmengen an Feuerwerk in die Luft zu jagen. Es gibt dazu keinen festen Zeitpunkt wie bei uns an Silvester, so dass von Montag bis Mittwoch, also den drei Tagen, an denen das Festival stattfand, den ganzen Abend lang bis spät in die Nacht der Himmel leuchtete wo man hinsah und es niemals still wurde, irgendwo knallte es immer. Auch tagsüber und schon tagelang davor zündelten einige Voreilige, was bei den Kindern immer ein fröhliches „Divali“-Rufen auslöste. 

Zur Folge hat das allerdings, dass der Verkehr auf der Straße ganz normal weiter geht, während andere Raketen in die Luft jagen, was mich mit meinem deutschen Sicherheitsvorschriftendenken manchmal ganz schön in Schrecken versetzte! Frauen mit Kindern, die ganz nah an den Böllern vorbeilaufen oder auch Männer auf Motorrollern, die zwischendurch fahren, ließen mich da mehrmals den Atem anhalten! Spaß gemacht hat es aber trotzdem J Doch die Entsorgung des kompletten Abfalls machte mich dann wieder etwas stutzig: alles was übrig war wurde auf einen Haufen geschmissen und verbrannt, es knallte noch ein paar Mal und qualmte mächtig, war aber effektiv.

Am nächsten Morgen standen wir um halb sechs auf, um uns in unsere Sarees zu wickeln und uns fertig zu machen für den Tempel. Bevor wir uns dahin vom 15-jährigen Sohn kutschieren ließen (erlaubt ist das Fahren hier auch ab 18, der Junge hat aber schon längere Fahrpraxis als ich ;), fuhren wir zum Haus des Onkels und holten noch zwei weitere Familien ab, mit denen wir gemeinsam in zwei Tempel gingen. Obwohl ich wohl ziemlich unbeholfen ausgesehen haben muss, als ich versucht hab all die Rituale zu betrachten und nachzuahmen, fragten die Priester im Tempel immer freundlich, ­­­woher ich denn käme und ob ich Hindu sei. Als ich dies verneinte, freuten sie sich trotzdem, dass ich da bin und meinten, ich könnte hier zu jedem Gott beten, an den ich glaube. Selbst als ich vergaß, meine Schuhe am Eingang auszuziehen, was ganz wichtig ist, waren sie nicht böse auf mich. Diese Offenheit und Toleranz ist hier überall zu finden und echt schön!

Als Opfergabe brachte jede Familie eine Schale mit einer Kokosnuss, Bananen, bestimmte Blättern und Blumen, die von einem Priester gesegnet werden. Anschließend rezitiert er oder ein anderer Priester verschiedene Mantras, es wird viel gebetet, wobei sich die Gläubigen immer wieder auf die Brust und die Stirn klopfen oder ihre Arme verschränken und zum Abschluss wird eine Glocke geläutet.  Alles verstanden habe ich leider noch nicht, obwohl mir immer wieder alles gezeigt und erklärt wurde. Vielleicht bekomme ich ja noch einmal die Möglichkeit, diese Traditionen zu beobachten.

Nach dem Tempelbesuch fuhren wir wieder zum Haus des Onkels und frühstückten dort. An Divali gibt es jede Menge besonderer Süßigkeiten, die ich natürlich alle probieren musste, so dass ich echt froh war, als mein Bananenblatt leer war und ich aufstehen konnte, obwohl alles wirklich gut geschmeckt hat. Nach einigen Familienfotos segneten die Erwachsenen sich gegenseitig und die Kinder und steckten einander Geld zu. Auch mir wollten sie unbedingt einige Rupien schenken, ich gehörte ja schließlich für diesen Tag dazu! 

Anschließend gingen wir wieder nach Hause, ich schlief erst einmal eine Weile, bevor es schon wieder ans Mittagessen ging. Danach schauten wir ein besonderes Divali-Programm im Fernseher, von dem ich leider nicht so viel verstand, nur so viel, dass alle tamilischen Stars darin aufkreuzten. Manche sangen und tanzten, andere mussten lustige Spiele spielen und gegeneinander antreten. Die Familie war auf jeden Fall begeistert! Zum Abschied schenkten sie mir sogar noch einen Sari und dann war auch dieses Hindu-Fest, schon wieder vorbei und der Alltag setzte wieder ein.

Alltag bedeutet, dass ich morgens von Kindern begrüßt werde, die freudestrahlend auf mich zu rennen und „Annakka, Annakka“ rufen (Akka bedeutet große Schwester). Weil Bilder ja oft mehr sagen als Worte, hier ein paar Fotos meiner Kinder, die ich schon alle so sehr ins Herz geschlossen habe:
Ein paar der Kinder beim Sporttag

Pream Kumar beim Weitsprung

Pandimunisweri und Lakshmi

Machalechmi und Muthukali

Nagapandi und Muthupria

Die Mädchen bei einer kleinen Feier auf dem Gelände


 Zur Zeit regnet es sehr oft, so dass ich nachmittags nicht immer wie gewohnt mit den Kindern spielen kann, sondern dann oft in der Küche beim Gemüseschneiden helfe und die Kinder ihre Strickpullis und Mützen auspacken. Es ist das erste Jahr seit langem, in dem es wieder genug Regen in der Gegend gibt. Mancherorts sogar zu viel, in Chennai gab es Hochwasser und Mr Barnabas´ Sohn, der dort lebt, musste mit dem Boot aus seinem Haus gerettet werden. Davon blieben wir hier aber zum Glück verschont und alle freuen sich über den Regen. Leider werden aber auch viele krank. Auch ich bekam eine Erkältung, aber das lag vermutlich an unserem Wochenendausflug nach Courtallam zu einem Bibelseminar. 

Courtallam ist berühmt für seine Wasserfälle, einer schöner als der andere! Und wie auch schon bei unserem Kerala-Ausflug hieß es zu mir, ich solle Extra-Klamotten mitnehmen, da wir im Wasserfall baden würden. Dieses Mal badeten wir aber nicht weiter flussaufwärts im ruhigen Fluss, sondern duschten direkt unter dem Wasserfall, was noch viel mehr Spaß machte! Besonders schön war es am Sonntagmorgen, als wir vor dem Frühstück losfuhren, um in Mitten von Bergen und einem Wald aus Palmen und Laubbäumen zu Duschen! Mit dieser Kulisse war das einfach traumhaft. Glücklicherweise war auch nicht viel los, normalerweise werden die Massen hier von Polizisten mit der Pfeife durchgejagt, wir konnten aber sofort rein und solange bleiben wie wir wollten- vermutlich, weil es in der Regenzeit doch recht kühl ist. Der Schnupfen hat sich aber auf alle Fälle gelohnt!


Mainfalls in Courtallam


Old Courtallam und Mr Barnabas
So, das war jetzt das wichtigste, was in den letzten Wochen passiert ist, alles weiter würde den Rahmen hier sprengen. Wie ihr seht fühle ich mich echt wohl, ich hüpfe inzwischen auch singend und strahlend über das Gelände des Elwin Centres: Ich fühle mich also zu Hause!  Und wenn sich jemand  trotz der Länge bis zum Ende des Textes durchgearbeitet hat:

Ganz liebe Grüße aus dem verregneten Indien,
Eure Anna