Mittwoch, 8. Juni 2016

Buntes Sommerferienprogramm



Jetzt bin ich schon 9 Monate hier in Indien und habe einiges erlebt und mich an viele Sachen so gewöhnt, dass ich sie mir gar nicht mehr wegdenken kann! Das heißt aber noch lange nicht, dass mich nichts mehr überrascht und wundert. Und erst recht nicht, dass ich Indien „kenne“. Denn dafür ist es –wie ja stets betont wird- zu vielschichtig. Und dass das auch wirklich so ist, konnte ich in den Sommerferien mal wieder erleben. Zuerst reiste ich mit drei anderen Freiwilligen drei Wochen Stück für Stück in den Norden bis nach Delhi. Anschließend besuchte ich zwei der Mitarbeiterinnen auf den Dörfern, machte mit ihnen einen zweitages-Ausflug zu einer christlichen Pilgerstätte und nahm am Mitarbeiterausflug nach Kochin im Nachbarbundesstaat Kerala teil.  Um euch einen kleinen Einblick in die Vielfältigkeit dieser Stationen zu geben, werde ich zu jeder einen Aspekt kurz beschreiben, der mir am stärksten aufgefallen ist oder der mich besonders beeindruckt und beschäftigt hat. Was natürlich nicht heißt, dass diese Stadt nur das  zu bieten hätte oder es dies nur dort gibt.



    Yelagiri: Natur und Entspannung

Ja, auch das gibt es in Indien. Yelagiri ist eine Dorf in den Bergen zwischen Chennai und Tamil Nadu. Mit dem Bus fährt man vom Tal aus ungefähr eine Stunde enge Serpentinen den Berg hinauf und hat dabei einen wunderbaren Ausblick auf das Tal, denn oft geht es gefühlte fünf Zentimeter neben dem Bus senkrecht in den Abgrund. Oben angekommen erwartet einen ein kleines Dorf mit ein paar Läden. Fährt man mit der Autorikscha nochmals 20 Minuten weiter, kommt ein noch kleineres Dorf und das YMCA-Gelände. Dort entspannten wir ein paar Tage, wanderten durch die traumhafte, bergige Landschaft, besichtigten eine Seidenfarm, spielten Monopoly im Schatten der Bäume und machten abends Lagerfeuer und Stockbrot. Also genau das Richtige, um erst einmal durchzuatmen; denn so entspannt blieb es nicht.


Futterplantage der Seidenfarm

Monopolyspielen im Schatten
 Mumbai: Die Reichen und Schönen

Einer meiner Mitfreiwilligen war in Mumbai auf eine Hochzeit eingeladen und durfte uns alle mitnehmen. Ich war mittlerweile schon auf unzähligen Hochzeiten hier in Tamil Nadu, welche aber keinesfalls mit  dieser Hochzeit zu vergleichen sind. Obwohl wir nur auf dem Letzen Teil der Feier waren. Was bei der so genannten „Wedding-Reception“, bei der noch einmal alle kommen und gratulieren können, geboten wurde, war einfach unglaublich. Der ganze Saal war edel geschmückt mit Kerzen, Lichterketten und frischen Jasminblütenketten. Schon bevor es losging, wurden Häppchen serviert: von zartem Fischfilet zu „Honey-Chili-Potatoes“. Im Anschluss an das  kurze Programm, wurde das Buffet eröffnet, das man gar nicht Überblicken konnte. Von indischem bis zu italienischem Essen war einiges geboten. Nudeln und Suppen wurden auf Wunsch mit den gewünschten Beilagen angebraten beziehungsweise gemischt. Auch das Nachtischbuffet war voll beladen mit verschiedenen Kuchen, Obstsalat und Brownies.
Der krasseste Gegensatz zu den Hochzeiten, die ich davor miterlebt hatte war allerdings, dass nach dem Essen Alkohol ausgeschenkt wurde. Das würde bei mir hier in Tamil Nadu überhaupt nicht gehen. Trinken ist hier total verpönt, ich denke, weil es sehr viele Probleme mit Alkoholikern gibt. In Mumbai (und auch anderen Orten in Indien) sieht das aber anders aus.
Alles in allem hat die Hochzeit zwischen sieben und acht Millionen Rupien, also ungefähr 90 000 – 100 000 Euro gekostet! Allein der „Half-Sari“ (also ein Kleidungstück, das an einen Sari erinnert, allerdings nur aus Rock, Bluse und einem Tuch besteht und nicht aus 6 Metern Stoff), den die Braut nur zur Wedding-Reception an hatte,  hat ungefähr 1 000 € gekostet. Und das war nicht der offizielle Hochzeitssari. 


Wir mit der Schwester der Braut
 Udaipur: Traditionelle Kunst

Ein Palast voller Miniaturmalereien, kunstvolle Kuppeldenkmäler, kunterbunte Tanzvorstellungen und ein Museumsdorf, indem die Künste und auch die Bauweisen der Häuser aus verschiedenen Teilen Indiens zur Schau gestellt werden – an der Tradition von Rajasthan, dem Bundesstaat in dem Udaipur liegt, kommt man bei einem Besuch der Stadt nicht vorbei. In jedem Laden werden vereinfachte Exemplare der Miniaturmalereien angeboten. Für die „echten“ Kunstwerke, die  circa ab dem 17. Jahrhundert aufkamen, wurde uns extra eine Lupe gegeben. Und ich war echt erstaunt, was man da alles entdecken kann: von einzelnen Barthaaren zu feinen Mustern auf den Kleidern.  Denn wie der Name schon sagt, sind diese Zeichnungen sehr klein, aber dennoch unglaublich detailliert.
Um den Besuchern die Künste näher zu bringen legt sich Udaipur mächtig ins Zeug: Jeden Abend werden Tanzvorstellungen aufgeführt, die durch die verschiedenen Tänze der Gegend führen. Obwohl die Tänze an sich sehr verschieden sind, haben sie eines gemeinsam: Die Kleider der Tänzer sind farbenfroh, die Tänze energiegeladen und zogen uns alle komplett in ihren Bann!


Tanz mit Feuer auf dem Kopf


Auch im Museumsdorf Shilpgram werden regelmäßig regionale Tänze aufgeführt, daneben können die Bauweise der Häuser aus verschiedenen Gegenden betrachtet werden und zur Hauptsaison gibt es Workshops, die einem all das nochmals näher bringen. Da wir allerdings zur Nebensaison unterwegs waren, war im Dorf sehr wenig los.

Privatvorführung in Shilpgram

Modelhäuser in Shilpgram

Jaipur: Festungen

Rund um Jaipur liegen einige Festungen in den Hängen. Die berühmteste ist das „Amer Fort“, das in seinem jetzigen Zustand 1592 erbaut wurde und auch „Amber Palace“ genannt wird, da eine der königlichen Familien darin gewohnt hat. Dafür ist das Fort auch bestens geeignet: Zahlreiche Gemächer, ein eigener Tempel, ein großer Platz um Paraden zu üben, ein Innenhof zum Entspannen, ein See, von dem aus das Wasser über verschiedene Mechanismen in den Palast befördert wird,  große Bäder, Geheimgänge, unteranderem zur nahegelegenen Festung,…; es ist alles da und noch immer in sehr gutem Zustand. Und so verwinkelt und groß, dass wir einen kompletten Tag hier verbrachten.


Blick auf das Amber Fort von oben
Blick auf das Amer Fort von unten

Wasserschöpfmechanismus belagert von Fledermäusen



Das nahegelegene Tigerfort


        
         Delhi: ­­­Märkte
  
Wir biegen in die Straße ein, in der der Gewürzmarkt liegen soll und fangen alle an zu Husten: ja, wir sind ohne Zweifel richtig! Die Luft ist geschwängert von unzähligen Gerüchen, es beißt im Hals und man muss ständig niesen. Denn hier wird natürlich nicht nur mit Salz und Pfeffer gekocht.
Märkte und wuselige Gassen, in denen man einfach alles bekommt, gibt es in jeder Stadt in der ich bisher war und es ist einfach toll, sich durch zu drängen (meistens ist echt viel los!) und um Preise zu feilschen. Auch wenn wir das erst einmal üben mussten und es manchmal echt anstrengend und nervig ist, weil man ständig das Gefühl hat übers Ohr gehauen zu werden und wahrscheinlich schon zu misstrauisch ist. Trotzdem ist es jedes Mal ein Erlebnis und wird nicht langweilig. Glänzende Stoffe,  glitzernder Schmuck, saftigstes Obst oder auch alles rund ums Reparieren: Jeder wird hier fündig!





  Mandapasalai: Dorfleben in Tamil Nadu

Von Delhi ins Dorf nach Tamil Nadu ist ein ganz schön krasser Wechsel. Zum Glück hatte ich zwischendurch ein paar Tage bei mir im Elwin Centre um mich etwas zu akklimatisieren. In Mandapasalai kennt man sich, es gibt keine unzähligen verwinkelten Straßen mit einem Laden am anderen mehr. An der Hauptstraße sind zwei Läden, jeweils nicht größer als eine Abstellkammer. Man kocht aber eben das Gemüse, das da ist. Und regelmäßig dürfen sich die Kinder für zehn Rupien etwas zu Naschen kaufen.
Das Haus, in dem meine Köchin Selvamary mit ihren Eltern lebt, hat zwei kleine Räume und einen winzigen Raum mit einer Wanne für Wasser. Fließendes Wasser und eine Toilette gibt es aber nicht. Das führte dazu, dass ich an einem Morgen um viertel nach sechs zu einem der Nachbarn mit einer Toilette gebracht wurde – und dort eine Stunde lang saß, Tee trank und mich mit dem Nachbarn unterhielt. Zwischendurch kamen auch noch andere Leute zu Besuch. Das ist hier einfach alles unkomplizierter.
Geschlafen haben wir, obwohl in dem Haus zwei Betten stehen, alle auf dem Dach – dort ist es in der Nacht einfach am kühlsten und am besten auszuhalten.

Einer der Räume

Selvamary beim Kochen

Familienbild vor dem Haus
Auch wenn ich schon ganz schön braun geworden bin, falle ich natürlich immer noch in den meisten Gegenden in Tamil  Nadu und besonders im Dorf als „die Weiße“ sofort auf. Ganz besonders, als ich mich wie alle anderen verhalten wollte und mit zum Wasser holen ging. Alle konnten es nicht glauben, dass ich diesen Wasserbehälter wirklich tragen kann. Ich wollte aber auf keinen Fall nur neben den anderen herlaufen, stemmte mir den Kübel wie alle anderen in die Hüfte – und versuchte mein Lächeln zu behalten während ich mit Selvamary (die einen Kübel auf dem Kopf und einen auf der Hüfte trug) zurück nach Hause lief. Noch am nächsten Tag schmerzte die­­ Stelle, an der der Behälter in die Seite gedrückt hat. Aber aufgeben ging selbstverständlich nicht! 


   Kamuthi:  Mittelstand auf dem Dorf

Selvamary und ich fuhren zusammen nach Kamuthi, da ist Rechal, eine der Mitarbeiterinnen, zu Hause. Rechals Familie selbst bezeichnet sich als „Middle Class“. Aus westlicher Sicht würde man beim Anblick dieses Hauses wohl nie darauf kommen, dass hier eine Mittelstandsfamilie wohnt. Aber das liegt nur daran, dass wir eben andere Vorstellungen und Gewohnheiten haben. Eine Großfamilie wohnt in drei relativ kleinen Zimmern, die allerdings sehr stark voneinander abgetrennt sind: Rechal mit ihren Eltern und Rechals zwei ältere Brüder, jeweils mit ihrer Frau und zwei Kindern.  Der Großteil des Lebens spielt sich im Garten ab, in dem Schaukeln aus Saris an wunderbaren Kletterbäumen hängen und Paletten aufgestapelt sind, um darauf zu sitzen und auch zu schlafen.
Rechals Vater führt einen dieser kleinen Abstellkammerläden, weshalb ständig Leute in den Garten kommen und nach ihm rufen. Aber nicht nur Kunden, auch viele Freunde kommen regelmäßig vorbei. Und die Kinder schwirren sowieso überall herum.

Die Sari- Schaukel

Die Toilette ist etwas Abseits versteckt

Ein Raum in Rechals Haus

 Velankanni: Vermischung der Religionen

Religion ist hier nicht so sehr Privatsache wie bei den meisten von uns in Europa. Die Religion spielt in vielen Alltagsbereichen eine große Rolle, man erkennt meist schon beim ersten Blick, ob die Person mit der man zu tun hat nun Hindu, Christ, Moslem oder Sikh ist und wenn man über eine Stadt blickt, sieht man Tempel, Kirchen und Moscheen friedlich nebeneinander. Schon öfters hatte ich von Hindus gehört, die gerne in Kirchen gehen, besonders gerne in Kirchen für Maria. Auch ich wurde als Christ in Tempeln, die ich besichtigt habe, begrüßt und eingeladen, hier „zu beten, an wen auch immer ich glaube“. Deswegen war ich auch nicht überrascht, als ich in Velankanni, einem Ort, dessen Mittelpunkt fünf Kirchen bilden, die in Kreuzform angelegt sind, Hindus mit Opfergaben in die Kirchen gehen sah.  Schon etwas mehr verwundert hat mich da, als wir mit Jerrin, dem jüngsten Sohn von Selvamarys Tochter, zum Haare opfern gingen. Ich kannte dieses Ritual bis dahin nur als hinduistisches Ritual, denn immer wieder kommen Kinder nach den Ferien mit kahl geschorenen Köpfen zurück: die Haare wurden in einem Tempel abgeschnitten und geopfert.
Auch in Velankanni ist es üblich, dass man beim ersten Besuch seine Haare da lässt. Dafür gibt es extra eine große Halle, in der Seite an Seite die „Friseure“ sitzen und einem für 10 Rupien die Haare abrasieren. Jerrin war das zwar nicht ganz so recht, ihm wurde aber von allen Seiten gut zu geredet und hielt tapfer durch.
Alle reden Jerrin gut zu

Die Halle

Anschließend werden die restlichen Haare im nahegelegenen Meer abgespült, der Kopf mit Sandelholzpaste eingerieben, Blumen, Kerzen und in unserem Fall etwas Silber zum Opfern gekauft und dann geht’s in die Kirche zum Beten und das Opfer abzugeben.  



Eine der Kirchen

Gruppenbild vor der Kirche

Auch wenn ich zuerst etwas überrascht war: Es ist auch selbstverständlich und wohl überall so, dass Religionen in den verschiedenen Ländern Rituale voneinander übernehmen. Diese gehören schließlich zur Kultur.

Ich war nur sehr froh, dass mich niemand gefragt hat, ob ich auch will! ;)

 Kochin: Dorf trifft Großstadt

Zum Abschluss meiner Sommerferien trafen zwei der verschiedenen Welten aus Indien zusammen: Fast alle Mitarbeiter fuhren zusammen nach Kochi. Einer der Programmpunkte dort: Eine von Indiens größten Shopping-Malls! Obwohl wir schon um halb zehn dort waren und die meisten Läden erst um zehn auf machten, war das für die meisten sehr beeindruckend. Die vielen Läden, der glänzende Boden, die Rolltreppen (vor denen es Stau gab, weil sich nicht alle sofort trauten, darauf zu treten), die Handtuchspendern in der Toilette, der riesige Supermarkt mit den unzähligen (aber wie sie betonten überteuerten) Produkten und die großen Schaufenster. Natürlich wurde vor allem posiert und fotografiert.

Shooting vor einem der Schaufenster


 Und mir wurde mal wieder klar, dass es schon lustig sein muss, was ich hier in Indien so fotografiere!



Jetzt sind wieder fast alle der Kinder da und der Teil Indiens, den ich am besten kenne ist zurück: der Schulalltag im Elwin Centre. Obwohl es sehr viel Spaß gemacht hat und unwahrscheinlich spannend war, mehr von Indien zu entdecken, bin ich froh über diesen Alltag. Denn nur hier werde ich jeden Tag unzählige Male in den Arm genommen und gerufen, zu trösten, Streit zu schlichten oder auch nur um mir etwas zu zeigen. Und das muss ich jetzt noch ausgiebig genießen, solange es noch geht!