Sonntag, 18. Oktober 2015

Der Alltag ist eingekehrt…



….zumindest in den letzten zwei Wochen. Am Dienstagabend mache ich mich schon wieder auf den Weg, dieses Mal treffe ich mich mit den anderen Freiwilligen in Mysore, da dort ein berühmtes Hindu-Festival (Dassara) stattfindet. Damit hier aber nicht der Eindruck aufkommt, ich würde nur Reisen und überhaupt nicht arbeiten (so ist das nämlich nicht!), ist es wohl dringend an der Zeit, von meinem Alltag und meiner Arbeit hier zu erzählen. 

An Schultagen, also von Montag bis Freitag und an jedem zweiten Samstag, klingelt mein Wecker um 6:30 Uhr. Inzwischen ist es manchmal morgens sogar schon kühler, so dass ich mich fast überwinden muss, mir das kalte Wasser zum Duschen in meiner „indian bucket shower“ über den Kopf zu leeren. Aber wach bin ich dann! Der erste Tagesordnungspunkt – ein sehr wichtiger!- ist dann das Tee trinken in der Küche. Mit einem fröhlichen „Good morning!“ werde ich dort jeden Morgen von Selvamary (meiner Indian-Mummy) begrüßt, setze mich auf die Arbeitsplatte oder schaue ihr beim Gemüse schneiden zu (ab und zu darf ich auch helfen!) und warte auf meinen Tee – schwarzer Tee, der allerdings nicht mit Wasser, sondern mit Milch gekocht wird und mit ganz viel Zucker gesüßt wird. Schmeckt dementsprechend natürlich auch sehr gut und ist immer viel zu schnell getrunken!
Selvamary beim Gemüse schneiden


 Was für mich dann bedeutet, dass ich mich auf den Weg mach ins Nebengebäude, das Ladys-Hostel, und versuche, mich dort beim Haareflechten nützlich zu machen. Manchmal klappt das besser und ich frisiere ein paar der Mädchen, manchmal sitze ich aber auch nur auf dem Boden, umringt von einem Schwarm Mädchen und versuche, mit allen gleichzeitig zu reden, zu spielen und vor allem, alle zu verstehen. Aber egal, was ich mache – es ist ein schöner Start in den Tag!

Pünktlich um Acht gibt es Frühstück, wieder in dem Gebäude, in dem auch die Küche ist. Und auch da gibt es immer was zu tun: bei der Essensausgabe helfen, mit einem der Kinder anstehen, beim Tellertragen helfen oder wieder einfach nur Zuhören und die Kleider, Ohrringe und Zöpfe bestaunen – langweilig wird es nie! Sind dann alle Kinder versorgt, esse ich selbst auch und bekomme meistens sogar nochmal einen Tee. Gewöhnen musste ich mich daran, dass Frühstück hier nicht Müsli, Obst oder Toastbrot bedeutet, sondern eine volle, warme Mahlzeit ist. Wirklich Hunger darauf habe ich meistens allerdings immer noch nicht. 

Die Kinder beim Essen

Vollkommen satt geht es dann weiter in die kleine Kirche hier auf dem Gelände, zum „Staffprayer“, das jeden Tag von einem anderen Lehrer geleitet wird und aus zwei (meist tamilischen) Liedern, einer Bibelstelle (die ich in der englischen Bibel mitlesen kann) und einem Gebet besteht. 
Mitten im Grünen: Die Kirche des Elwin Centres

Chaotischer geht es da beim darauf folgenden „Childrenprayer“ zu, die Kinder singen aus voller Kehle, so wie sie es eben können. Das hört sich oft an, als sei es ein Kanon mit sehr vielen Stimmen, ist aber echt schön, ihnen zu zuhören. Und zu zuschauen, das meiste sind nämlich „Action-Songs“. Ab und zu wird noch eine Bibelgeschichte erzählt, an anderen Tagen dürfen einzelne Kinder vorsingen oder Verse aufsagen, manchmal ist die Gruppe auch in die „Größeren“ und die „Kleineren“ getrennt, so dass das Niveau dementsprechend angepasst werden kann.
Nach einer guten halben Stunde wird mit einem Gebet geschlossen und es geht entweder direkt in die Schule oder es werden noch ein paar Yoga-Übungen gemacht, was manchen mehr und anderen eher weniger Spaß macht und auch gelingt. Für die Lehrerinnen sind diese Übungen deshalb vermutlich noch herausfordernder als für die Kinder, da sie ständig helfen und animieren müssen. Beim Yoga und beim Gebet versuche ich mich meistens recht unauffällig zu verhalten, da die Kinder immer anfangen, mit mir zu reden, wenn sie mich sehen. Oder zu mir her laufen. Und manchmal sogar weinen, wenn sie daran gehindert werden. Das ist dann natürlich etwas unproduktiv. Wird aber auch schon besser, bald kann ich bestimmt mit animieren und helfen!

Bei den Yoga-Übungen


Anschließend, ab 10 Uhr, steht mir der stressigste Teil des Tages bevor: die Schule. Bis jetzt war ich immer in der First Standard, also sozusagen der ersten Klasse. Sie gleicht allerdings mehr einem Kindergarten; die Kinder bekommen etwas Spielzeug und sollen sich damit beschäftigen. Solange Stella, die Lehrerin, oder Rechal, die auch oft aushilft, im Raum sind, ist das auch echt schön, da kann ich mit einzelnen Kindern spielen, hab Zeit für sie und kann mich so auch um die Ruhigeren kümmern. Allerdings bin ich auch oft alleine mit den Kindern. Und dann wollen alle auf einmal meine Aufmerksamkeit. Hören auf das, was ich mit meinen noch nicht sehr ausgereiften Tamilkenntnissen zu ihnen sage, tun sie aber selten. Das führt dann manchmal soweit, dass eines der Mädchen anfängt, andere Kinder zu schlagen oder Stühle, auf denen die kleinen, recht wehrlosen Kinder sitzen, umzuwerfen, damit ich gezwungen bin, meine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Und dann hat sie, was sie will. Aber auch da machen wir schon Fortschritte, und ganz so fertig mit meinen Nerven, wie ich das am Anfang nach der Schule immer war, bin ich inzwischen auch nicht mehr.

"Meine" Klasse mit Rechal

 Und ich habe eine wunderschöne Aufgabe bekommen, die eine halbe Stunde der Schulzeit in Anspruch nimmt: Einem Mädchen namens Jeba, das nicht sprechen kann und nur mit Mühe ein paar Laute hinbekommt, gebe ich jeden Morgen Sprachunterricht. Das bedeutet, dass ich zwei oder drei Übungen mit ihr mache, wie zum Beispiel eine Kerze auspusten, ein kleines Bonbon mit der Zunge von meiner Hand aufnehmen oder sich Zuckerwasser von den Lippen lecken. Zwischendurch versuche ich sie immer dazu zu bringen, einfache Wörter wie „amma“ (Mama) oder „appa“ (Papa) oder auch nur einzelne Laute zu sagen, und es klappt auch immer besser und macht sowohl ihr als auch mir unglaublich viel Spaß!

Das Mittagessen läuft wieder so ab wie das Frühstück und ich bin froh, wenn ich gegessen habe und mich etwas ausruhen kann, denn von 13:30 bis 16:00 Uhr habe ich Mittagspause. Etwas zu tun gibt es meistens trotzdem, von Waschen und Putzen über Einkaufen gehen, Ferienunterkünfte buchen oder einen Blogeintrag schreiben – so arg viel Ruhe gibt es eigentlich nie. Erst recht dann nicht, wenn ich mich mit Arun, der gerade hier aushilft, zum Lernen verabrede. Sein Bruder hat nämlich Sophie, eine ehemalige Freiwillige hier, geheiratet und wohnt jetzt in Deutschland. Deswegen möchte er unbedingt auch bald mal nach Deutschland und Deutsch lernen. Im Gegenzug bringt er mir etwas Tamil bei. Und da wir beide vor der gleichen Herausforderung stehen – eine neue Sprache lernen zu wollen – verstehen wir auch recht gut, was der andere wissen möchte und wie schwer es ist, sich alles zu merken, was einem erzählt wird!

Spätestens um vier ist der Unterricht aber beendet, denn dann ist wieder Tea-Time. Diesmal sogar mit Snacks, bei Mr. Barnabas im Büro. Das ist immer eine sehr gute Gelegenheit, ihn Dinge zu fragen und sich auszutauschen. Oder auch nur den Anderen, die auch anwesend sind, zuzuhören. Auch wenn ich natürlich nur bruchstückweise etwas verstehe. Trotzdem bekomme ich, auch durch Unterlagen, die mir gezeigt werden, immer mehr Einblick in die Verwaltung der Schule, was echt spannend ist! Schulgeld müssen die Eltern zwar zahlen, aber sehr wenig, eher symbolisch (200 Rupien, das sind ca. 2,60€, auch wenn man indische Preise nicht mit europäischen vergleichen darf!). Das meiste funktioniert über „Well-Wisher“, die regelmäßig Geld spenden. Soweit ich das schon mitbekommen habe, ist Mr. Barnabas sehr geschickt darin, Beziehungen zu knüpfen und neue Sponsoren zu finden. Außerdem stellen die älteren Schüler selbst auch einige Produkte her, wie zum Beispiel Traubensaft und Notizbücher, die sie verkaufen und damit zum einen selbstständiger und auf spätere Berufe vorbereitet werden, gleichzeitig auch etwas Geld verdienen. 

Frisch gestärkt gehe ich danach wieder zu den Kindern im Heim und tobe mich mit ihnen richtig aus. Inzwischen habe ich zwei Springseile und drei Ringe zum Werfen, zusammen spielen die Kinder jedoch selten. Meistens wollen sie, dass ich sie fange, was mir die Möglichkeit gibt, den ganzen Zucker aus Tee und Snacks und das viele Essen zumindest ansatzweise wieder abzutrainieren ;) Unterbrochen wird das Spielen dann um sechs, dann ist Fernsehzeit und die Kinder versammeln sich in der Halle. Und mir macht Selvamary heiße Milch mit Zucker, damit meine Muskeln und Knochen nicht anfangen weh zu tun, nach dem vielen Rennen. Das beeindruckt die Leute hier irgendwie mächtig! Und unglaublich finden sie, dass ich Milch auch ohne Zucker trink. Das verstehen sie nicht und ich bekomm es auch nicht, nur einmal, als der Zucker leer war, hatten sie keine andere Wahl ;)
 Um halb sieben wiederholt sich das morgendliche Childrenprayer, bis es dann um sieben Abendessen gibt. Nach dem Essen gehe ich in das Gebäude der Jungs und setzte mich zu Sahral, einer der Mitarbeiterinnen, rede mit ihr und mit den Jungs, die bei ihr im Zimmer schlafen. Sobald die Jungen mein Handy erblicken, wollen sie unbedingt fotografiert werden oder selbst Fotos machen, was ich ab und zu auch zulassen muss und dann auch immer ganz witzig ist. (Ich würde mein Handy am liebsten in meinem Cottage lassen, dann wäre ich allerdings den ganzen Nachmittag nicht zu erreichen. Und Mr. Barnabas oder eine der Lehrerinnen müssen mich öfters mal erreichen…)

Eines der daraus resultierenden Bilder

Und noch eins
Abgeschlossen wird der Tag mit einem Staffprayer auf dem Boden vor dem Boys-Hostel, dann ziehe ich mich erschöpft in mein Zimmer zurück und bin froh, wenn ich nichts mehr erledigen muss, sondern einfach noch ein bisschen lesen kann. Denn am nächsten Tag fängt das ganze ja schon wieder von vorne an!

Bilder habe ich immer noch nicht so viele, denn immer, wenn ich mit einem Foto aufkreuze, werde ich umringt von Kindern, die sich genau vor mich stellen, so dass ich das eigentliche Fotoobjekt überhaupt nicht mehr sehe! Ab und zu habe ich unauffällig versucht, mit dem Handy Bilder zu machen, aber auch das ist schwer. Ich bleib aber dran, irgendwann wird sich das auch alles normalisieren!

Eigentlich hatte ich geplant, den Baumstamm im Hintergrund mit den Jungs darauf zu fotografieren...
Ich hoffe ihr habt trotzdem einen guten Einblick in meinen üblichen Tagesablauf hier bekommen. Natürlich passiert auch um dieses Programm herum sehr viel, ich bin an Wochenenden oft unterwegs, auf Chorkonzerten, bei Verwandten von Mr. Barnabas, habe selbst kleine Auftritte mit der Gitarre und morgen gehe ich schon wieder auf eine Hochzeit… viel zu viel, um alles zu erzählen! Und das jetzt schon, nach gerade mal etwas mehr als einem Monat!

Liebe Grüße, bis bald!
Eure Anna

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